„Wir haben uns noch nie gestritten“, wenn ich diesen Satz in meiner Arbeit mit Paaren höre, dann geht bei mir innerlich eine rote Lampe an. Meist wird dieses „Wir streiten nie“ Mantra dann noch als etwas ganz Wertvolles empfunden, dass man zusammen geschafft hat. Schauen wir dann zusammen hinter die Kulissen der Beziehung, finden sich oft Berge von ungeklärten Konflikten, runtergeschluckten Gefühlen, steckengebliebenen, nie angeschauten Beziehungsthemen- über die einfach der Teppich der Zwangs-Harmonie ausgebreitet wurde. Und jetzt bebt die Erde untendrunter.

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In dieser Folge schauen wir uns die drei häufigsten Konfliktvermeidungsstrategien an. Du erfährst, warum dauerndes Harmoniestreben zwar kurzfristig Ruhe bringt, langfristig aber die Beziehung zerstört, warum viele von uns so viel Angst vor Auseinandersetzungen haben und zu Harmoniestrebern geworden sind, welcher Konfliktvermeidungstyp Du vielleicht bist , warum Auseinandersetzungen und Konflikte in Beziehungen ganz normal und notwendig sind und wie sich die Harmoniesucht besiegen lässt. Und auch wenn Du Dich nicht als jemand sehen würdest, der einer Auseinandersetzung aus dem Wege geht- kann diese Folge sehr wertvoll für Dich sein- denn Du hast es garantiert immer wieder mit Harmoniestrebern zu tun.

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Harmonie bedeutet nicht gleich zu klingen, sondern gemeinsam zu klingen.

Dieser Satz bringt auf den Punkt, was in vielen Beziehungen ein Problem darstellt. Die Vorstellung nämlich, dass man um jeden Preis einer Meinung sein muss, dass Konflikte etwas Schlimmes sind und um jeden Preis vermieden werden müssen. Vielleicht kennst Du das auch, oder hast es schon mal in Deinem Umfeld beobachtet?

Dann wird sich in einer Beziehung verbogen, was das Zeug hält. Es wird tapfer gelächelt, obwohl einem innen zum Weinen ist, es werden Emotionen und innere Konflikte heruntergeschluckt, um vor sich selbst und dem anderen den schönen Schein zu wahren. Die wirklichen Probleme können so nicht gelöst werden und stauen sich an, obwohl man sich so sehr Mühe gibt, alles unter den Teppich zu kehren.

Harmoniestreben um jeden Preis ist das Gegenstück zum toxischen Streit, wo sich zwei verbal ein Hauen und Stechen liefern, nur um danach als Sieger vom Platz zu gehen. Weder die Streithammel noch die Harmoniestreber können zu gemeinsamen Lösungen kommen und belasten so ihre Beziehung.

Warum also der Zwang zum permanenten Gleichklang zwischen zwei Menschen? Warum ist für viele die Worte Konflikt, Auseinandersetzung, Meinungsverschiedenheit mit so viel Bäh beladen, dass sie am liebsten einen Bogen machen?

Konfliktscheue Menschen haben meist schon als Kind gelernt, auf ihre eigenen Wünsche und Gefühle keine Rücksicht zu nehmen, bzw. diese Bedürfnisse zugunsten der Beziehung zu opfern. Menschen, die zwanghafte Harmoniestreber sind verwechseln Liebe mit Lieb sein, weil es Ihnen so beigebracht wurde und sie sich dessen vielleicht noch nicht einmal bewusst sind.

Entweder wurde in Ihren Herkunftsfamilien permanent gestritten, so dass sie kein gutes Vorbild für konstruktive Auseinandersetzungen haben und regelrechte Ängste entwickeln, bei der geringsten Disharmonie- oder aber die Eltern haben selbst jegliche Auseinandersetzung vermieden und die ungelösten Konflikte und Meinungsverschiedenheiten überspielt.

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Rick hat genau dieses Problem. Seine Frau hat Ihr Herz auf der Zunge und kann Sachen, die Sie stören und über die Sie sich ärgert, ziemlich direkt und zu Ricks Leidwesen auch sehr spontan formulieren. Rick beschwichtigt dann sofort, obwohl oft eine ganz andere Meinung hat. Aber die sagt er nicht, besser gesagt er traut sich gar nicht erst irgendwas zu entgegnen. Er kommt noch nicht mal dazu, seiner Frau Maria wirklich zuzuhören und seiner Position nachzuspüren. Stattdessen ist er sofort mit der Abwehr des Konfliktes beschäftigt, weil die Angst vor einem möglichen Streit in ihm eine Art Lähmung verursacht. Rick will um jeden Preis Streit vermeiden.

Er murmelt dann etwas, senkt den Kopf, entschuldigt sich manchmal sogar ohne das so zu meinen. Oft geht er einfach aus dem Raum, oder verfällt in dumpfes Brüten und mauert sich innerlich ein. Er gibt auf, bevor er für sich eingetreten ist. Seine Frau ärgert sich noch mehr, weil sie sich nicht gehört fühlt, weil sie kein echtes Gegenüber hat. Und so kommen sie zu Schein-Kompromissen, nur weil Rick sofort nach, bzw. aufgibt. Das hat aber zur Folge, dass er die gemeinsamen Vereinbarungen dann später regelmäßig torpediert und untergräbt. Dass er gar nicht richtig mitzieht, obwohl er ja gesagt hat, dass er ausweicht und immer Gründe findet, warum das jetzt nicht geht. Maria fehlt dann das Commitment und sie fühl sich im Stich gelassen und allein. So hat sich mit der ein echter Problemberg zwischen den beiden aufgebaut, der nun die Beziehung bedroht.

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Als wir die Konfliktlösestrategien, die Rick und Maria aus Ihrem Leben mitgebracht haben untersuchen, kommt Ricks traurige Geschichte das erste Mal ans Licht. Als er klein war, haben seine Eltern oft so schlimm und laut gestritten, dass regelmäßig Gewalt im Spiel war und die große Schwester dazwischengehen musste. Der kleine Rick hatte soviel Angst, dass er sich unter der Bettdecke versteckte und dort in innerer Erstarrung so lange verharrte, bis es unten in der Küche wieder ruhiger wurde. Seine innere Emigration, der vollkommene Rückzug aus der Situation war damals der Versuch sich zu retten. Und das macht er, ohne es zu wissen, heute noch. Wenn sich Konflikte anbahnen, versteckt er sich.

 

Konfliktvermeider haben kein gutes Vorbild dafür, für sich und Ihre Position einzutreten und Auseinandersetzungen auszutragen, ohne sich dabei gegenseitig zu verletzen.

 

Sie dürfen ihre Konfliktlösestrategien nachträglich entwickeln, um gelingende Beziehungen zu führen. Und der erste Schritt ist hier, zu verstehen dass einen das Harmoniestreben nur an der Oberfläche scheinbar weiterbringt. Kurzfristig ist das Problem weg. Scheinbar. Aber: Wer den Kopf in den Sand steckt und das Problem wegatmet, damit es nur ja keinen Konflikt geben muss, sorgt versehentlich dafür, dass sich die ungelösten Themen und Gefühle unter der  Oberfläche ausbreiten. Früher oder später werden sie hervorbrechen, dann aber meist mit eruptiver Gewalt, Manchmal kann das sogar die Beziehung zerstören. Langfristig ist das Harmoniestreben also keine Lösung, sondern es zerstört die Liebe.

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Maylee hat sich geschworen, immer friedlich zu bleiben und ruhig zu sprechen. Wenn Ihr Freund Georg sie anschreit, niedermacht und ihr die gemeinsten Dinge an den Kopf schmeißt, dann lächelt sie tapfer und versucht freundlich zu antworten. Das bringt Georg noch mehr in seine destruktiven ungesunden Streitmuster und er artet so aus, bis Maylee ihre lächelnde Fassade nicht mehr aufrechterhalten kann und weint.

Sie gibt nach und sich auf. Sie gibt Georg recht, er muss sich nur genug aufbauen. Nun hat er gewonnen und ist zufrieden. Ohne Frage ist das toxisch, Georg hat gelernt dass Konflikte Kriege sind, bei denen es nur Gewinner und Verlierer geben kann. Aber uns interessiert heute vor allem Maylees Strategie des tapferen Lächelns. Das macht sie immer. Auch im Job, Sie lässt sich alles gefallen und lächelt ihren Schmerz weg.

„Bitte tu mir nichts“, sagt das Lächeln. Und als wir diese Strategie ganz behutsam untersuchen kommt heraus, dass sie das von Ihrer Mutter übernommen hat, einer lieben Frau, die sich nicht traute für sich und ihre Meinung einzutreten und die sich gegenüber ihrem Mann überangepasst und unterwürfig verhielt. Streit darf es nicht geben, man muss immer nachgeben und vor allem muss man den schönen Schein wahren, und ein artiges Mädchen sein, dann wird alles gut.

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Krass, oder? Es ist immer ein Gänsehautmoment, wenn meinen Klientinnen und Klienten der Zusammenhang mit Ihrer Lebensgeschichte bewusst wird.

Rick und Maylee sind typische Vertreter des Harmoniestrebens um jeden Preis. Sie verkörpern zwei von drei Vermeidungsstrategien, die echte Lösungen verhindern und die schauen wir uns jetzt mal an. Vielleicht findest Du heraus, welcher Streittyp Du bist. Ich nenne sie die Streitmuster des Misslingens.

Die Streitmuster des Misslingens. Welcher Streittyp bist Du?

Streitmuster des Misslingens 1:

Du streitest Dich mit Deinem Gegenüber und knickst – im wahrsten Sinne des Wortes – irgendwann ein, damit der Streit aufhört und wieder Harmonie einkehrt. Und wenn das bedeutet, dass Du Deine Position verraten musst und Dich opferst für diese Harmonie, dann tust Du das. Das ist Maylees Verhalten.

Wenn ich das mit Klienten als Bild darstelle, male ich zwei Pfeile nebeneinander, von denen sich dann einer verbiegt und sich um den anderen schlingt. Ein Pfeil bleibt also starr und geradeaus, der andere verbiegt sich maximal. Ich hoffe, Du kannst es Dir vorstellen. Maylee versucht Harmonie herzustellen, indem sie sich auf Georgs Seite schlägt und ihre Position verlässt.

Wenn Du das auch von Dir kennst, dann sei Dir bewusst. Deine Unterwerfung sorgt vielleicht für weniger Streit, aber Du lässt letztendlich Dein eigenes Ziel, Deine eigene Vorstellung und Dich selbst im Stich. Auf Dauer bedeutet das, Du kommst in der Beziehung gar nicht wirklich vor. Das kann nicht gut gehen und ist keine Basis für irgendetwas.

Beobachte Dich mal selbst in solchen Situationen, sagst Du das jetzt nur, damit ihr euch am Ende einig werdet und alles wieder friedlich ist, oder ist es das, was Du wirklich willst und meinst?

 

Streitmuster des Misslingens 2:

Du versucht vielleicht kritische Themen zu vermeiden, Dich vor Auseinandersetzungen zu drücken. Dabei schluckst Du sogar ab und an die eigenen Gedanken und Verletztheit hinunter, um keinen Konflikt heraufzubeschwören. So bist Du gar nicht richtig an der Klärung beteiligt und hast irgendwann das Gefühl, alles wird ohne Dich entschieden. Das ist Rick aus meinem ersten Beispiel.

Das symbolisierte Streitmuster sieht so aus: Zwei geradeaus gerichtete Pfeile, die parallel nebeneinander verlaufen, aber sich nicht begegnen. Die eigentlich Auseinandersetzung kann nicht stattfinden, damit auch keine echte Klärung. Die Lösung wird verhindert, wenn man nicht beteiligt ist und ausweicht. Wenn beide das machen, wird es tragisch.

Wenn Du dieses Verhalten von Dir kennst, dann mach Dir bewusst: Das Problem dabei: nur weil Du oder Dein Gegenüber nichts sagt, heißt es nicht, dass alles in Ordnung ist.

Sei ehrlich zu Dir. Wo nimmst Du Dich zurück, nur um keinen Konflikt zu provozieren oder ihn zu vermeiden?

 

Streitmuster des Misslingens 3:

Das ist kein Harmoniestrebermuster wie Variante 1 und 2. Streitmuster 3 ist das, was ich das „Aber Du, aber Du“- Kampfmuster nenne. Hier geht es um Konfrontation um jeden Preis, um rechthaben oder untergehen, Gewinner und Verlierer, Hauen und Stechen ohne Rücksicht auf Verluste. Georg aus Beispiel 2 hat dieses Streitmuster.

Es kommt meist zu heftigen Auseinandersetzungen und bis zum Ende wird ausgefochten, was den Konflikt verursacht hat. Am Ende gibt es keine echte Lösung, nur Scheinkompromisse für den Gewinner. Das symbolische Bild dazu kann man sich so vorstellen: zwei Pfeile, die übereinander gekreuzt sind wie zwei Schwerter und sich duellieren.

Wenn Du das von Dir kennst, dann darfst Du Dir folgendes bewusst machen, Bevor Du Dich in den Konflikt stürzt, schau erst worum es wirklich geht. Ist es gerade wirklich so wichtig, Dich mit aller Macht durchzusetzen und um jeden Preis recht zu haben? Geht es Dir um Dich oder um echte Lösungen? Wie wird sich Dein Partner oder Deine Partnerin fühlen, wenn sie der Verlierer im Konfliktkrieg ist?

 

Konflikte können eine Quelle der Entwicklung sein

Konflikte sind normal, auch wenn es nicht leicht ist, mit ihnen umzugehen. Sie sind ein Teil von lebendigen Beziehungen. Von Freundschaft, von Partnerschaften jeder Art, auch von beruflichen.

So schön ein harmonisches Miteinander ist, es fühlt sich nur echt an, wenn es auch authentisch ist, wenn wir nicht nur so tun als ob. Und genau deshalb braucht das wirkliche authentische Miteinander schwingen, dass wir frei sind auch uns selbst, unsere eigenen Werte und Bedürfnisse in die Beziehung als eigene Position einzubringen.

Dass wir wir selbst sein dürfen, mit unseren Grenzen, Werten, Bedürfnissen. Dass wir uns treffen und begegnen und gemeinsame Lösungen aushandeln können bedarf der Fähigkeit die Meinungen, Grenzen, Vorstellungen des anderen erst einmal zu achten und zu respektieren, auch wenn sie mir nicht gefallen. Und genauso braucht es diese Erlaubnis auch für mich selbst. Sonst haben wir keine Grundlage für eine gelingende Beziehung.

Und wenn wir das nicht so gut gelernt haben mit den Konfliktlösestrategien, dann kann uns das nicht hindern neue Strategien zu lernen. Es braucht nur den Mut, Dir anzuschauen, welches Besteck Du zum Lösen von Konflikten aus Deinem Leben mitgebracht hast und ob dieses Besteck hilfreich ist,

 

Übung zur Selbstreflektion- so deckst Du Deine Streitmuster auf.

Wie also reagierst Du bei Meinungsverschiedenheiten, Missverständnissen, Auseinandersetzungen und Konflikten?  Das kannst Du herausfinden, indem Du Dir mal ganz spontan, ohne lange zu denken folgende Sätze fortführst:

• Wenn ich mit Menschen die ich liebe streite, dann…

Was denkt es hier wirklich in Dir, nicht: was möchtest Du gerne denken. Vielleicht ist Deine erste Antwort: Wenn ich mit Menschen, die ich liebe streite, dann…hab ich Angst, oder dann fühle ich mich schuldig. Dann würde ich gerne ausreißen oder mich verstecken, oder dann werde ich ganz klein?

• Auseinandersetzungen mit anderen Menschen sind für mich…(schlecht, schlimm, sind meine Schuld)
• Wenn ich anderer Meinung bin, muss ich immer…darf ich nicht…
• Bei Konflikten befürchte ich, dass…(ich nicht gemocht werde, dass mir weh getan wird, dass ich nicht für mich eintreten kann, ich nichts sagen kann)
• Wenn ich für meine Überzeugungen eintrete, dann bin ich…(böse, schlecht, egoistisch, nicht liebenswert?)

Spiele mit diesen Sätzen, assoziiere am besten munter vor Dich hin. Spüre, was davon mit Dir in Resonanz geht. Dann kommst Du Deinen Vermeidungsgründen auf die Sprünge. Schreib das am besten auch mal auf.

Und dann frage Dich bei jedem einzelnen Deiner notierten Sätze:  

• Ist das wahr?
• Welchen Preis hast Du bis jetzt dafür bezahlt?
• Von wem hast Du das gelernt?
• Wie würdest Du gerne eintreten für Deine Meinung, wenn Du keine Angst vor Konflikten hättest?
• Welche Beispiele hast Du?

Harmonie bedeutet miteinander zu klingen, wie die Töne in einer Melodie- sich immer wieder aufeinander einzuschwingen und dennoch die individuellen persönlichen Facetten auszuspielen, das macht die Beziehung lebendig. Ich bin sicher. Klar, dafür darf man auch üben, genauso wie wenn man ein Musikstück mit verschiedenen Instrumenten spielt.

Und das wünsch ich Dir von Herzen, alles Liebe, Deine Claudia

• Podcast Folge: Die Apokalyptischen Reiter der Paarbeziehung
• Podcast- Folge: Destruktive Streitmuster

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